Eröffnung: Donnerstag, 20. September 2018, 19 Uhr
Patchwork-Arbeiten und dekorative Muster auf der einen und politisch-emanzipatorischer Anspruch auf der anderen Seite – die Pattern and Decoration-Bewegung vereint vermeintliche Widersprüche. Mitte der 1970er-Jahre entwickelt sich die Kunstrichtung in den USA, als eine der letzten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts überhaupt, in der der Anteil von Frauen so hoch ist wie nie zuvor. Getragen wird die Bewegung u.a. von feministisch engagierten Künstler*innen wie Joyce Kozloff, Valerie Jaudon, Robert Kushner und Miriam Schapiro. Sie heben sich mit ihrer Kunst radikal von der vorangegangenen puristischen Minimal Art und rationalistischen Konzeptkunst ab, indem sie Fantasie, Farbe, Formenvielfalt und das Affektive in die Kunst zurückholen. Dabei hinterfragen sie nicht nur tradierte Vorstellungen von Kunst, sondern thematisieren auch politische Fragen wie den Stellenwert von Frauen, den amerikanischen Ureinwohner*innen oder von ethnischen Minderheiten im Kunstbetrieb und in der Gesellschaft. Pattern and Decoration proklamiert damit einen Gegenentwurf zu einem Kunstbegriff, der weltweit von Werten der westlichen Industriestaaten bestimmt und männlich dominiert ist. Ihren politisch-globalen Anspruch artikuliert die Bewegung durch eine Ästhetik mitreißender Leichtigkeit und verführerischer Schönheit: mit Arbeiten die Sinnlichkeit, Fantasie und Farbe feiern und in denen gleichermaßen sozialkritische Inhalte und das Erlebnis unmittelbarer Lebensfreude transportiert werden.
Bislang sind die Werke der Pattern and Decoration-Bewegung in Europa kaum rezipiert worden. Das Ludwig Forum Aachen, das die größte öffentliche Sammlung dieser Kunstbewegung im europäischen Raum beherbergt, unternimmt mit diesem Ausstellungs- und Publikationsprojekt nun eine erste umfassende Aufarbeitung und Neubewertung des Themas.
Mit rund 65 Arbeiten wird erstmals in Europa wieder die ganze Vielfalt der Pattern and Decoration-Bewegung gezeigt: von orientalisch anmutenden Mosaiken über monumentale Textilcollagen, Malereien und Grafiken bis hin zu Rauminstallationen und Video-Performances. Hinzu kommen ausgewählte zeitgenössische Arbeiten etwa von Polly Apfelbaum, Christine Streuli und Rashid Rana. Sie zeigen auf, wie sehr die formalen und inhaltlichen Errungenschaften von Pattern and Decoration bis heute nachwirken. Das Interesse der Bewegung an Bildelementen nicht-westlicher Kunstströmungen ist im Zuge der erneuten Diskussion um eine „globale Kunstgeschichte“ – regelmäßig in großen Kunstschauen wie der documenta verhandelt – aktueller denn je. Befreit vom berühmten Stigma „Ornament als Verbrechen“ (Adolf Loos, 1908) hat Ornamentik, bei aller dekorativen Wirkung, immer auch weltanschauliche und symbolische Bedeutung und dient den Künstler*innen bis heute zur Reflexion über die eigene Kultur sowie als Mittel der Kritik: an politischen Systemen, an weiblichen Rollenmustern, an gesellschaftlichen Konventionen und Erwartungen.
Die ausstellungsbegleitende Publikation erscheint in deutscher und englischer Ausgabe im Verlag der Buchhandlung Walther Koenig und unternimmt eine umfassende Aufarbeitung der Pattern and Decoration-Bewegung auf wissenschaftlicher Ebene. Mit Texten u.a. von Manuela Ammer, Esther Boehle, Michael Duncan, Amy Goldin, Valerie Jaudon/ Joyce Kozloff, Holger Otten, Anne Swartz und Harald Szeemann. Herausgegeben von Esther Boehle (Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen) und Manuela Ammer (mumok, Wien)
Künstler*innen der Ausstellung: Polly Apfelbaum, Adriana Czernin, Brad Davis, Frank Faulkner, Tina Girouard, Dan Hays, Valerie Jaudon, Joyce Kozloff, Robert Kushner, Thomas Lanigan-Schmidt, Kim MacConnel, Rashid Rana, Miriam Schapiro, Kendall Shaw, Christine Streuli, Ned Smyth, Lee Wagstaff, Heike Weber, Robert Zakanitch, Joe Zucker
Kuratiert von Esther Boehle
Kuratorisch-wissenschaftliche Assistenz: Denise Petzold
Mit großzügiger Unterstützung der Peter und Irene Ludwig Stiftung, Terra Foundation for American Art, Stiftung der Sparda-Bank West
Ausstellungsansichten, Pattern and Decoration. Ornament als versprechen, Foto: Ludwig Forum Aachen / Carl Brunn