Rune Mields
Der unendliche Raum
– dehnt sich aus
Eröffnung: Sonntag, 27.10.2024, 12 Uhr
Mit Der unendliche Raum – dehnt sich aus präsentiert das Ludwig Forum die Arbeit der in Köln lebenden Künstlerin Rune Mields (*1935 in Münster), die zwischen 1965 und 1970 in Aachen aktiv war. Nicht nur war sie in dieser Zeit zentrale Akteurin des legendären Kunstvereins Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V., auch entstand in ihrem damaligen Aachener Atelier die Werkgruppe der sogenannten „Röhrenbilder“: großformatige, auf Zeichnungen basierende Malereien von plastisch voll ausformulierten Zylindern, Kegeln und Flächen, an denen sie seit 1968 für einige Jahre arbeitete und von denen Peter und Irene Ludwig 1970 die Nr. 26 (1969) für ihre Sammlung erwarben. Im Zusammenspiel mit einer Auswahl ihrer Primzahl- und Tangentenmalereien aus den Folgejahren, wird mit der Ausstellung eine seit über fünf Dekaden anhaltende künstlerische Bearbeitung „unendlicher Räume“ in Auseinandersetzung mit Systemen, Theorien und Phänomenen aus Mathematik, Geometrie, Physik, Philosophie und anderen Wissenschaften vorgestellt, die in Aachen begann. Mields Schaffen ist seither von dem Interesse geleitet Systemen und Strukturen mathematischer wie politischer Natur eine physische Präsenz zu geben. Sie untersucht und visualisiert diese oftmals im Verborgenen wirkenden Ordnungskonzepte und überführt sie in die Gestalt von Malerei.
Die „Röhrenbilder“ bilden nicht nur Ausgangspunkt und Zentrum der Ausstellung, gleichsam manifestiert sich in ihnen der Beginn einer über viele Jahre anhaltenden Auseinandersetzung mit malerischen Raumbeschreibungen. Im ersten Schritt entwirft die Künstlerin präzise ausgearbeitete Vorzeichnungen der Rohrdarstellungen, um neue Kombinationen und Variationen ihres Grundthemas zu erproben, bevor sie die Motive in großformatige Malereien übersetzt. Angeregt von Industriefotografien von Raketenstufen, Öltanks, Steuerungsapparaten oder anderen in Zeitschriften abgebildeten technischen Gerätschaften und Maschinen, bestimmen geometrische Formen auf planen Flächen die jeweilige Leinwand. In perfekt illusionistischer Manier gemalt, treten isolierte Röhren oder Kegel aus monochrom gefassten Bildgründen hervor, zerteilen sie, ragen aus ihnen heraus, oder zielen direkt auf die Betrachter*innen, um immer auch in das Geschehen, der sie umgebenden Räume einzugreifen.
Rune Mields interessiert sich für das Rohr als symbolisches Zeichen für Kraft, Technik, Aggression und Rationalität, als geometrische Form sowie als Instrument der Raumbeschreibung. Im Verlauf ihrer Untersuchungen empfindet sie den Fetischcharakter der dargestellten Objekte zunehmend als störend und reduziert in der Folgeserie der „Tangenten“ die Form und Raum gebenden Elemente auf einfache Linien. In dem sie, wie die Kunsthistorikerin Annelie Pohlen 1979 schrieb, fortschreitend vom Gegenstand seiner plastischräumlichen Realitätsillusion abstrahiert, entstehen aus den Röhrenbildern Tangentenbilder: „Das unmittelbar und aggressiv auf den Betrachter gerichtete technoide Symbol weicht der schillernden Sprache abstrakter Systeme. Doch so wie die Röhre gleichermaßen auf die Herrschaft über den Kosmos und die Beherrschung durch den Kosmos verweist, so liegt auch in allen von Menschen aus der erfahrbaren Wirklichkeit abgeleiteten Systemen die Dialektik von Ordnung und Chaos verborgen.“
1976 richtet Rune Mields ihren Fokus auf Zahlensysteme und beginnt sich insbesondere mit den chinesisch-japanischen Sanju-Primzahlen intensiv zu beschäftigen. Auf Schriftrollen schreibt sie mit Tusche alle Sanju-Primzahlen der Strich- und Bambusziffern von 0 bis 120.000 nieder, die sich mit zunehmendem Zahlenwert auf dem Papier verdichten. Das in der Ausstellung parallel zu den Primzahlen präsentierte Kinderbuch 10 Finger und die Zahlen 1 bis 10, in dem Mields die Finger einer gespreizten Hand mit Ziffernsystemen überschreibt, verweist auf das Interesse an Zahlensystemen unterschiedlicher Kulturkreise und einem global zu beobachtenden menschlichen Verlangen nach der Etablierung von Ordnungssystemen. „Alles hat Formen, weil es Zahlen in sich hat, nimm ihnen diese und sie sind nichts mehr“, so die Künstlerin in einem ihrer Werke, den spätantiken Kirchenlehrer Augustinus zitierend. Mields Werke sind getragen von den Ambivalenzen der Menschheit: der Suche nach naturwissenschaftlichen Ordnungsstrukturen bei gleichzeitigem Verlangen nach Spiritualität und Irrationalität; der Nähe von Ratio und Magie. So visualisieren sie Ordnungen auch, um sie in der Folge zu hinterfragen und zu destabilisieren.
Ergänzt um 92 Studienzeichnungen, die kürzlich durch die Unterstützung der Peter und Irene Ludwig Stiftung erworben werden konnten, weiteren Entwurfszeichnungen, Ephemera sowie einer Kabinettpräsentation zum „Gegenverkehr“, gibt die Ausstellung im Ludwig Forum anlässlich ihres bevorstehenden 90. Geburtstag umfangreiche Einblicke in ihre Untersuchungs- und Interessensfelder. Dabei macht sie einzelne Schritte im Forschungsprozess dieser bemerkenswerten Vorreiterin der Malerei im Informationszeitalter punktuell nachvollziehbar. Der Titel, Der unendliche Raum – dehnt sich aus, geht zurück auf ein Gespräch der Künstlerin mit ihrem Bruder über den Raum und die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Auf die Frage hin, ob der Satz wissenschaftlich korrekt sei, entgegnete dieser: „Wenn Du das poetisch ausdrücken willst, ist das kein Problem“. Daraufhin ließ Rune Mields ein weißes Schild mit der Aufschrift prägen und installierte es 1971 an einer Fußgängerbrücke in Monschau als Teil der Ausstellung Umwelt-Akzente. Die Expansion der Kunst (1970). Seither bildet der Satz den konzeptuellen Nährboden ihrer Arbeit.
Kuratiert von Eva Birkenstock in Assistenz von Anna Marckwald und Mailin Haberland. Begleitet von einer Kabinettausstellung zum von Rune Mields mitgegründeten Aachener Kunstverein Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e.V. von Holger Otten, Anna Marckwald und Miriam Schmidt.
Foto Sepp Linckens, ©Hanne Linckens