Am 6. Oktober 1964 eröffnete in der New Yorker East 78 Street The American Supermarket. Die Regale waren vollgepackt mit Obst und Gemüse, Konservendosen, Waschmittel und vielem mehr. Was auf den ersten Blick wie ein Supermarkt aussah, war in Wirklichkeit eine Ausstellung der Bianchini Gallery mit „Produkten“ von unter anderen Jasper Johns, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Andy Warhol. US-amerikanische Pop Art spiegelte die Medien, den Massenkonsum, das Auto, die Stars, die Großstadt. Sie reproduzierte und orientierte sich an industriellen Produktionsformen. Sie schärfte den Sinn für das Alltägliche, Profane, Vulgäre und Zufällige und verschob die zuvor gültigen Koordinaten der westlichen Kunstwelt vehement. Nach der anfänglichen Euphorie des Fortschritts in der Kennedy-Ära entwickelte die Pop Art angesichts der gesellschaftlichen Eruptionen, bei denen nicht nur der Preis für Wachstum und Wohlstand immer offensichtlicher wurde, schließlich auch ein Sensorium für die politischen Untiefen der glänzenden Oberflächen. Der Krieg in Vietnam, Rassismus und Frauenrechte sind nur einige der brisanten Themen jener Zeit, die eine Auseinandersetzung auch in der Kunst fanden.
Peter und Irene Ludwig begannen Pop Art zu sammeln, bevor sie 1968 mit der documenta 4 in Kassel international bekannt wurde. Zwischen 1967 und 1969 erwarb Peter Ludwig rund 150 Arbeiten von den in New York ansässigen Pop Art-Künstler*innen und handelte sich so den Spitznamen „Mr. More“ ein. Heute ist die Sammlung Ludwig berühmt für die Präsenz von US-amerikanischer Pop Art, die ihren Wiederklang zunächst in Europa und in den 1980er-Jahren mit den Konsumgütern ihren Weg in die ehemalige UdSSR bis nach China fand. Pop Art erfand hier neue Labels wie Soz Art, Chinese Pop Art oder Political Pop. Die Ludwigs folgten auch diesem Weg und erwarben zahlreiche Arbeiten dieser sich globalisierenden Bildsprache des Kapitalismus, die sich dort jedoch immer auch mit sozialistischer Propaganda und der politischen Realität vor Ort auseinandersetzte.
Die Ausstellung Switch. Pop, Points and Politics untersucht das Phänomen der Pop Art ausgehend von den am Ludwig Forum Aachen befindlichen Beständen der Sammlung von Peter und Irene Ludwig. Entsprechend des Fokus des Hauses, das seit seiner Eröffnung in der alten Schirmfabrik 1991 immer auch Arbeiten aus dem Globalen Süden und den ehemaligen Soviet-Republiken umfasste, werden mit Switch künstlerische Auseinandersetzungen mit den weltweiten Verstrickungen von Kapital, Politik und Kunst in den Blick genommen. Die Sammlungspräsentation konfrontiert Protagonist*innen des Genres, wie Jasper Johns, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg oder Andy Warhol in den USA, Ai Weiwei in China (und den USA) oder Gerhard Richter in Deutschland, einerseits mit Sammlungswerken von weiblichen Counterparts, wie Saskia de Boer, Laura Grisi, Dorothy Iannone oder Hilka Nordhausen, sowie darüber hinaus mit nicht-westlichen Positionen der 1980er- und 90er-Jahre. Schließlich wurden Arbeiten aus diesem Zeitraum ausgewählt, die gegenüber dem Phänomen Pop Kontrapunkte setzen oder in anderen Nuancen ihren Zeitgeist reflektieren.
Switch. Pop, Points and Politics ist die Fortsetzung einer 2022 initiierten Serie an Sammlungspräsentationen, die einzelne Schwerpunkte der inzwischen historisch gewordenen Sammlungen im Ludwig Forum kritisch befragen und erweitern. Hierbei geht es im Verständnis der Zeitgeschichte als fortlaufende Vergangenheit und Gegenwart darum, die Sammlungen und ihre Kunstgeschichten angesichts ihrer Ein- und Ausschlüsse stetig zu aktualisieren und zu hinterfragen.
Künstler*innen: Jo Baer, Nairy Baghramian, Judith Bartolani, Jean-Michel Basquiat, Saskia de Boer, Jonathan Borofsky, Peter Brüning, Erik Bulatov, Claude Caillol, María Magdalena Campos-Pons, Laura Grisi, Wang Guangyi, Duane Hanson, Jenny Holzer, Dorothy Iannone, Jörg Immendorff, Magdalena Jetelová, Jasper Johns, Ando Keskküla, Konrad Klapheck, Gabriel Kuri, Roy Lichtenstein, Lee Lozano, Attila Mata, Hilka Nordhausen, Claes Oldenburg, Lady Pink, Gerhard Richter, Karla Sachse, George Segal, Wolf Vostell, Franz Erhard Walther, Andy Warhol, Ai Weiwei, Yu Youhan
Kuratiert von Eva Birkenstock, Esther Boehle und Holger Otten
Bild: Wang Guangyi, 大批判- Maxwell House Coffee/ Große Kritik – Maxwell House Coffee, 1990, Öl auf Leinwand, Sammlung Ludwig, Leihgabe Peter und Irene Ludwig Stiftung, © Wang Guangyi, Foto: Carl Brunn / Ludwig Forum Aachen