Franz Erhard Walther

Franz Erhard Walther, der jüngst als bester Künstler der Biennale in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden ist, wurde bereits im vergangenen Oktober der Aachener Kunstpreis 2016 zuerkannt. Anlässlich dieser Preisverleihung richtet das Ludwig Forum Franz Erhard Walther eine Einzelausstellung aus, die eine repräsentative Auswahl seiner Werke zeigt.

Ein schmaler Sockel aus Metall. Leer. Mitten im Museum. Ein Schritt nur und der Besucher könnte selbst zur Skulptur werden. Kunst, die sich erst durch den Menschen vollendet – daran arbeitet der Künstler Franz Erhard Walther seit rund 60 Jahren. Kaum ein Kunstschaffender hat die Definition, was Skulptur sein kann, derart frühzeitig und nachwirkend verändert wie Franz Erhard Walther. Durch seine partizipativen Objekte und Textilskulpturen hat er das Verständnis von Kunst sowie das Verhältnis von Kunst und Betrachter einer grundlegenden Neubewertung und Erweiterung unterzogen. Den eigenen Körper, Zeit, Raum, Sprache oder Gestik – all diese „Materialien“ bezieht Walther bei seinen bildhauerischen Arbeiten oder Installationen mit ein. Der Betrachter soll dabei idealerweise aus seiner passiven Haltung heraustreten und zu einer intellektuellen, emotionalen und zum Teil auch physischen Auseinandersetzung mit Walthers Handlungsobjekten angeregt werden. Diese ist oft sogar unabdingbar, um die jeweilige Skulptur in ihrer Ganzheit „geschehen“ zu lassen.

Franz Erhard Walthers Werk steht im Kontext der Entgrenzungsstrategien der Kunst der 1960er-Jahre, in denen die Auffassung des Kunstwerks als materielles Objekt zugunsten eines erweiterten Kunst- und Werkbegriffs aufgegeben wurde. In Happenings, Aktionen und Performances etwa wurden vorherrschende Kategorien wie Kunstwerk und Autor in Frage gestellt. Dabei vertraten die Künstler den Anspruch, Kunst als Erfahrung, als Teilhabe an einem Ereignis oder Prozess zu vermitteln. Die Hierarchie zwischen Künstler und Rezipient sollte aufgelöst und so die Kunst demokratisiert werden.

Greifbar wurde diese Haltung schon in Walthers 1. Werksatz aus den Jahren 1963 bis 1969. Er besteht aus einer 58-teiligen Serie so genannter Handlungsobjekte aus textilen Materialien und wurde 1969 erstmals im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) präsentiert. Unter „Handlungsobjekten“ verstand Walther von ihm konzipierte Gegenstände, die Rezipienten dazu verleiten sollten, Handlungen zu vollführen. So konnte man sich die Objekte etwa umlegen, in sie hinein laufen, sich in sie legen oder auf sie stellen. Begleitet wurde der 1. Werksatz von über 5.000 Werkzeichnungen und Diagrammen, die als Wegweiser dienten, wie man sich den Gegenständen nähern kann. Statt klassischer Kunstwerke sollten Kommunikationsobjekte oder Handlungsobjekte präsentiert werden, welche dem Rezipienten unmittelbare, elementare Erfahrungen ermöglichen. Erstmalig hat Walther mit seiner Definition von Kunst den Betrachter zum Werkvollender erklärt. Er stellte die Gleichung auf: erweiterter Kunstbegriff + Handlung (des Rezipienten) = Werk.

Ausgehend von dieser grundlegenden Neudefinition des Kunstbegriffs durch Franz Erhard Walther in den 1960er-Jahren versammelt die Aachener Ausstellung Handlung denken rund 70 Werke aus fast 60 Jahren künstlerischer Praxis. Die Schau präsentiert eine konzentrierte, für das Werk repräsentative Auswahl von handlungsbezogenen Arbeiten aus Stoff, Metall und Papier sowie Zeichnungen aus verschiedenen Dekaden, und beleuchtet so Franz Erhard Walthers zentrale Rolle als einer der Pioniere der Partizipationskunst. Und obwohl die Benutzung vieler seiner Arbeiten aus konservatorischen Gründen heute nicht mehr möglich ist, entfalten diese noch immer maximale Wirkungskraft.

Franz Erhard Walther (*1939 in Fulda), studierte von 1957 bis 1961 an der Werkkunstschule in Offenbach am Main (heute Hochschule für Gestaltung Offenbach) sowie der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt. 1962 bis 1964 folgte ein Studienabschnitt bei Karl Otto Götz an der Kunstakademie Düsseldorf u. a. zusammen mit Gerhard Richter und Sigmar Polke. Nach seinem Studium ging Walther für vier Jahre nach New York und stellte dort 1969 seinen 1. Werksatz im Museum of Modern Art aus. Er war Teilnehmer der documenta 5, 6, 7 und 8, die neue Möglichkeiten des Zusammenspiels von Kunst, Raum und Betrachter untersucht haben. Als Professor für Bildhauerei an der Hamburger Kunsthochschule (1971-2005) hat er Künstlerinnen und Künstler wie Rebecca Horn, Martin Kippenberger, John Bock, Lili Fischer, Santiago Sierra und Jonathan Meese ausgebildet. Heute lebt und arbeitet er in Fulda, wo auch die Franz Erhard Walther Foundation ihren Sitz hat.

Der Kunstpreis Aachen wird vom Verein der Freunde des Ludwig Forum, der Stadt Aachen und der Aachener Wirtschaft gestiftet. Er wird alle zwei Jahre von einer internationalen Jury an Künstler vergeben, denen die internationale Kunstszene wesentliche Impulse verdankt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und mit einer Ausstellung im Ludwig Forum verbunden.

Jury Kunstpreis 2016: Prof. Dr. Pia Müller-Tamm (Direktorin der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe), Dr. Thomas Köhler (Direktor der Berlinischen Galerie), Rein Wolfs (Intendant der Bundeskunsthalle, Bonn), Dr. Andreas Beitin (Direktor Ludwig Forum Aachen), Ernst Höhler (1. Vorsitzender des Vereins der Freunde des Ludwig Forum e.V.).

Kuratoren: Andreas Beitin und Esther Boehle

 
Der Trailer zur Ausstellung Franz Erhard Walther. Handlung denken
 

 
Franz Erhard Walther. Handlung denken, Ausstellungsansichten
 

 

 

 


© VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Fotos: Carl Brunn/ Ludwig Forum Aachen

 
Franz Erhard Walther. Handlung denken, Preisverleihung & Eröffnung
 

 

 

 

 

 

 


Fotos: Fabian Nawrath

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