Joseph Beuys beim Festival der Neuen Kunst an der TH Aachen, 22. Juli 1964, Sammlung Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Fotografie © Peter Thomann

Beuys, Fluxus und die Folgen

Das Festival der Neuen Kunst in Aachen

Symposium im Ludwig Forum Aachen
22.–23. Oktober 2021

Anlässlich des 100. Geburtstages von Joseph Beuys finden in Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl von Ausstellungen, Aktionen und Performances, Theater- und Musik- sowie Lehrveranstaltungen statt. In Aachen wird im Rahmen des Jubiläumsprogramms ein zweitägiges Symposium durchgeführt, eine Kooperation des Ludwig Forum Aachen und dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte, RWTH Aachen University.
Thema und Ausgangspunkt des Symposiums ist Joseph Beuysʼ Aktion beim Festival der Neuen Kunstam 20. Juli 1964 im Audimax der RWTH Aachen. Die Veranstaltung endete mit einem Eklat und musste vorzeitig abgebrochen werden: Ein verärgerter Student hatte Beuys mit einer gezielten Rechten die Nase blutig geschlagen. Die Fotografien der Ereignisse sind heute Teil des kollektiven Gedächtnisses, auch wenn kaum noch jemand die Zusammenhänge kennt.
Expert*innen beleuchten in ihren Vorträgen die wechselseitige Verbindung zwischen Joseph Beuys und der Fluxus-Bewegung in der Nachfolge des Aachener Ereignisses. Dabei werden die nun über fünfzig Jahre zurückliegenden Begebenheiten zu ihrer Bedeutung für unsere gegenwärtige Kunst, Politik und Gesellschaft kritisch befragt und Werke zeitgenössischer Künstler*innen einbezogen.

Alle Vorträge finden in deutscher Sprache statt.
Eintritt frei, Anmeldung nicht erforderlich.
Es gilt die 3G-Regel

Programm

Download PDF

Freitag, 22. Oktober 2021

19.00 Uhr
Grußworte

Dr. Annette Lagler, Ludwig Forum Aachen
Prof. Dr. Alexander Markschies, Lehrstuhl für Kunstgeschichte der RWTH Aachen University

Schlüsselbilder für ein Fluxus-Happening?
Die Rekonstruktion des Festivals der Neuen Kunst zwischen Dokumentation und Ikonisierung
Vortrag von Dr. Adam C. Oellers, Kunsthistoriker und stellvertretender Museumsdirektor der städtischen Museen in Aachen a. D.

Lange Zeit blieb die Rezeption des Aachener TH-Happenings vom 20. Juli 1964 auf wenige schlaglichtartige Bilder und Begriffe reduziert, mit denen die zeitgenössischen Medien das Spektakel zwischen Skandal, Chaos und Irrsinn zu diffamieren suchten. Erst seit den 1990er-Jahren beginnt die Forschung damit, die verwirrenden Abläufe und die Hintergründe dieses komplizierten Simultanereignisses systematischer zu rekonstruieren und kunsthistorisch einzuordnen. Berichtet wird einerseits über die schwierigen Aufgaben einer Rekonstruktion und zum anderen über Funktionsweisen und Deutungshoheiten innerhalb der überlieferten Bilder und Begriffe.

Samstag, 23. Oktober 2021

10.00 Uhr
Die Butter ist wie das Wetter und das Wetter ist wie die Butter
Joseph Beuysʼ Aachener Fettkiste
Vortrag von Dr. Gabriele Mackert, Sammlungsleitung Kunst 18.–21. Jahrhundert, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Joseph Beuys kündigte für das Festival der Neuen Kunstnicht eine Aktion, sondern verschiedene Handlungen unter dem Titel Kukei, Akopee –Nein!, BRAUNKREUZ –FETTECKEN –MODELLFETTECKEN an. Mindestens vier der Relikte dieser prominenten Aktion wurden Bestandteil von Block Beuysim Hessischen Landesmuseum Darmstadt. the 20th July Aachen Fettkiste lautet heute der Titel eines metallenen Brotkastens, den Beuys auf der Bühne mit Fett füllte. Daneben stand eine elektrische Herdplatte, über die Beuys demonstrativ prüfend seine Hand hielt. Sie steht als Wärmeplastik in der Auschwitz-Demonstration betitelten Vitrine.
Immer wieder trifft man auf die Aussage, Beuys habe Margarine erhitzt oder vor Publikum Fett geschmolzen. „Da wurde der Kocher aufgestellt, heiß gemacht. Dann wurden die Fettblöcke geschmolzen, und das Fett in dieser Fettkiste wurde erwärmt; das war wohl dieses Kukei“, erzählte auch er selbst. Wahrscheinlicher ist jedoch davon auszugehen, dass Beuys in Aachen – wie auch bei anderen Aktionen – auf offener Bühne kein Fett geschmolzen hat. Für seinen Wärmecharakterist dies jedenfalls nicht ausschlaggebend. Dieser ist vielmehr als ein kommunikativer sozialer Prozess zu verstehen. Im Vordergrund steht ein visuelles Spektakel – kein physikalisches.
Der Vortrag fokussiert die These, dass Beuysʼ Bühnenexperimente mittels alchemistisch-sakraler Anspielungen auf Transsubstantiation vor allem auf die Lenkung von Aufmerksamkeit zielten. „Kukei“, erklärte Eva Beuys, geht auf Sohn Wenzels Kindersprache zurück und bedeutete: „Ich gucke“ oder „Laß mich gucken“. Die unverständliche Kombination „Kukei“ ist demnach als lautsprachliches Kauderwelsch und Aufforderung, das vom Künstler vorgegebene Rätsel zu ergründen, lanciert. Die Analyse der Transformation von Brotkiste und Herdplatte zu ihren heutigen Vitrinen-Arrangements befragt den Status der Objekte, die Beuys als Werkzeuge beschrieb, „die mal benutzt worden sind, um Hinweise zu geben über alles mögliche“. Beuysʼ Agenda verfolgte 1964 zentral eine Kritik der Form und des Zwecks von Kunst. Seine Provokation ist damals die Mobilisierung von Skulptur: im Material Fett wie in der Aktion.

10.50 Uhr
Nam June Paik und Joseph Beuys – kollaborative und transkulturelle Aspekte einer Künstlerfreundschaft
Vortrag von Dr. Franziska Koch, Heidelberg Centrum für Transkulturelle Studien, Universität Heidelberg

Nam June Paik und Joseph Beuys lernten sich im Rahmen der frühen Fluxus-Aktivitäten im Rheinland kennen und schätzen. Die beiden verband eine langjährige Künstlerfreundschaft, die immer wieder auch gemeinsame Auftritte einschloss, so 1984 das Duett in Tokio. Beide teilten ein substantielles Interesse an transkulturellen Strategien, noch bevor diese so genannt wurden. Über ihre Zusammenarbeit reflektierten sie jedoch auf sehr unterschiedliche Weise – Paik explizit in Wort, Bildreferenzen und Performances, die er dem Kollegen widmete, Beuys fast ausschließlich auf der Bühne in der gemeinsamen Interaktion. So verhandelten ihre aktionistischen Performances Eurasien die Figur des Schamanen und Kulturnomaden, erweiterten den Kunstbegriff und die mediale Praxis, ohne dass das Wie dieser gemeinsamen Verhandlungen, seine kulturellen Bedingungen und praktischen Grenzen bislang kritisch untersucht worden wären.
Der Beitrag skizziert eingangs die Genese ihrer auch von Rivalität geprägten Freundschaft, um dann auf den gemeinsamen Auftritt in Japan zu fokussieren. Im Vordergrund steht die Frage, wie sich ihre Zusammenarbeit genau gestaltete, welche transkulturellen künstlerischen Strategien, aber auch welche Unterschiede ihre Ansätze kennzeichneten und welche verschiedenen Rezeptionen sie erfuhren bzw. bis heute erfahren.
Am Horizont des Beitrags steht daher die Frage nach den Mechanismen der Kanonisierung, die beide Künstler zu genialen Einzelgestalten stilisierten, obwohl ihre in der Fluxus-Zeit geprägte Kunstpraxis das Partizipative und Kollaborative betonte und autoritative Autorschaft sowie eindimensionale Autorisierungen durch offen angelegte Subjektivierung infrage stellte.

11.40 Uhr
Fluxus is happening
Permanente Konferenzen im musealen Setting
Vortrag von Dr. Sarah Hübscher, IAEB der TU Dortmund, freie Kuratorin im Museum Ostwall im Dortmunder U

Der Impuls möchte einen Blick auf die Folgen des Schaffens und Denkens des Künstlers Beuys sowie der Fluxus-Bewegung auf den musealen Raum konzentrieren. Die Sammlung Ostwall versammelt zahlreiche Fluxus-Objekte, Multiples und Happening-Artefakte. Deutlich bildet sich am Dortmunder Beispiel ab, dass Objekte und thematische Sammlungsschwerpunkte auch institutionelle Haltungen prägen und bestehende museale Traditionen und Ordnungen hinterfragen.
Mit dem Beitrag soll das Museum als Interaktionsraum thematisiert werden und anhand von Objekten und künstlerischen Positionen als demokratischer Ort und Reallabor verhandelt werden. Konkret wirft der Impul seinen Blick auf Ausstellungspraktiken und Kommunikationssettings im Museum Ostwall und thematisiert zugleich institutionelle Öffnungsprozesse und Outreach-Strategien. Die Kollaboration wird dabei zum wichtigsten Vehikel, wie auch das Ausstellungsprojekt revolution beuys (12.08.–17.10.2021) zeigt. Das kollaborative Projekt versammelt in der Wechselausstellungsfläche des Museums Ostwall – dem Schaufenster – Objekte und Fragestellungen zu einem Setting aus politischer Aktion und Reaktion. Es diskutiert historische, gegenwärtige und zukünftige Prozesse gesellschaftlicher Interaktion, Aktivismusformen und Empowerment-Strategien.
Im Zentrum stehen dabei einzelne Werke (von u. a. Vostell, Beuys, Brecht), die räumliche Veränderungen im Museum provozieren und Handlungen, Umgangsformen und Denkbewegungen auslösen. Das Projekt codiert den Ausstellungsraum zum Labor und ermöglicht so den Besucher*innen eine kritische Diskussion zwischen Objekten und Konzepten und den von Beuys und weiteren Fluxus-Künstler*innen besetzten Themen. revolution beuys versammelt kuratorische Gedanken, szenografische Überlegungen, institutionelle Anliegen und die Gedanken von Besucher*innen und formiert die Museumsfläche zum Ort für gesellschaftliche Fragen. Es folgt damit einem zentralen Anliegen von Joseph Beuys, der das Museum als Ort der „unbedingten Toleranz“ verstand und in ihm „das erste Modell einer permanenten Konferenz“ für gesellschaftliche Fragen formulierte.

13.00 Uhr
Aktion – Fotografie – Objekt
Joseph Beuys und das Foto-Objekt Eurasier
Vortrag von Benjamin Dodenhoff, Peter und Irene Ludwig Stiftung

Im Jahr 1976 zeigt Joseph Beuys das Foto-Objekt Eurasierin der Galerie Schmela in Düsseldorf. Auf dem Boden liegend erinnert die halb aufgerollte Porträtfotografie des Künstlers an frühere Aktionen wie DER CHEF THE CHIEF. Fluxusgesang (1964). Mit seinen Maßen von knapp fünfmal fünf Metern wird der gerollte Leinwanddruck gleichsam zum plastischen Objekt. Die Entstehungsgeschichte des Werkes von der zugrunde liegenden Fotografie von Lothar Wolleh aus dem Jahr 1971 bis hin zum überlebensgroßen Foto-Objekt ist beispielhaft sowohl für Beuysʼ Umgang mit dem Medium der Fotografie im Speziellen als auch für ein Grundprinzip seiner künstlerischen Praxis im Allgemeinen: Durch die Transformation von einem Medium ins andere reichert Beuys seine Motive und Denkfiguren mit immer neuen Bedeutungsebenen an. Im Kontrast etwa zu der berühmt gewordenen Fotografie Heinrich Riebesehls des gestikulierenden Beuys mit blutender Nase im Audimax der TH Aachen (1964) wird deutlich, warum dabei gerade Wollehs Fotografie des Eurasier im Œuvre von Joseph Beuys eine Schlüsselrolle einnimmt.

13.50 Uhr
Das fünfte Evangelium von Joseph Beuys
Christoph Schlingensiefs Fluxus-Oratorium
Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir
Vortrag von Giovanna-Beatrice Carlesso, Universität Stuttgart

Ich gieße eine soziale Plastik aus meiner Krankheit. Christoph Schlingensief Im Werk von Christoph Schlingensief (1960–2010) bildet Joseph Beuys eine Konstante. Es gibt kaum eine Arbeit des Filmemachers, Opern- und Theaterregisseurs, die keine Referenz auf das Beuys’sche Leben und Werk enthält. Beuys wird umso wichtiger, als Schlingensief – im Frühjahr 2008 mit der Diagnose Krebs konfrontiert – über Sinn und Wert des Leidens nachdenkt. Nur wenige Monate nach seiner Diagnose und Behandlung führt Schlingensief im Rahmen der Duisburger Ruhrtriennale das sogenannte Fluxus-Oratorium. Eine Kirche der Angstvor dem Fremden in mir (Premiere: 21. September 2008) auf – als Requiem auf sich selbst und als eine Hommage auf Beuys und die Fluxus-Bewegung. Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt, lautet das von Beuys übernommene Motto der multimedialen Inszenierung. Sie findet in einer stillgelegten Industriehalle statt, deren Innenraum der Pfarrkirche von Schlingensiefs Heimatstadt, der Herz-Jesu-Kirche in Oberhausen, nachempfunden ist. Reenactments diverser Fluxus-Aktionen, von Schlingensief gefilmt, begleiten als Videoprojektionen das Geschehen auf der Bühne, mithin fungieren sie als Ars sacra. Und auf der von Schlingensief als Priester zelebrierten Messe wird – neben seinen eigenen Texten, die sein Kranksein verhandeln – das fünfte Evangelium von Joseph Beuys gelesen.
Ausgehend von der genannten Inszenierung und den Tagebuchaufzeichnungen Schlingensiefs will der Beitrag zeigen, wie der Autor-Regisseur – im Spannungsfeld von Profanem und Sakralem, von Kunst und Religion – eine produktive Auseinandersetzung mit Joseph Beuys und Fluxus führt. Dabei wird dargelegt, wie Schlingensief von Beuys’ Überlegungen ausgehend einen „erweiterten Krankenbegriff“ entwickelt, der der Autonomie des Leidenden verpflichtet ist. Zum anderen wird nachvollzogen, wie es Schlingensief mit Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir gelingt, den künstlerischen Kosmos Beuys’ und das Programm der Fluxus-Bewegung kongenial zu einem autobiografisch aufgeladenen Kunstritual zusammenzuführen.

15.30 Uhr
Vortrag von Johannes Stüttgen
Johannes Stüttgen ist ein deutscher Künstler und Autor sowie Gesellschafter des Omnibus für direkte Demokratie. Stüttgens gesellschaftliches Engagement ist eng angelehnt an die Ideen von Joseph Beuys, z. B. den Erweiterten Kunstbegriff, die Soziale Plastik, die deutsche Bewegung für direkte Demokratie und die Anthroposophie.

Das Projekt ist Teil des Jubiläumsprogramms beuys 2021. 100 jahre joseph beuys, eines Projekts des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Träger unter der künstlerischen Leitung von Prof. Dr. Eugen Blume und Dr. Catherine Nichols.

Schirmherr ist Ministerpräsident Armin Laschet.

Organisation: Stefanie Wagner

Ludwig Forum Aachen
Jülicher Straße 97–109
52070 Aachen
Tel. +49 (0)241 1807-104
Fax +49 (0)241 1807-101
info[at]ludwigforum.de

Öffnungszeiten
Di-So 10-17 Uhr
Do 10-20 Uhr
Montag geschlossen

Bibliothek
Di-Fr 13-17 Uhr

Führungen und Workshops
+49 241 432 4998
museumsdienst[at]mail.aachen.de

Öffentliche Führungen
Jeden Do, 17 Uhr und So, 15 Uhr
Kosten: 2,00 € zzgl. Museumseintritt

Eintrittspreise
Regulär 6,00 €
Ermäßigt 3,00 €

Mehr Informationen

Veranstaltungen