Jörg Immendorff bei der Aktion „Vietnam“ im April 1966 in der Galerie Aachen, Foto: Sepp Linckens

Nie wieder störungsfrei!

Aachen, September 2011. Nie wieder störungsfrei! Aachen Avantgarde seit 1964 gewährt spektakuläre Einblicke in eine Zeit, in der der Kunstbegriff durch neue und experimentelle Strömungen ständig in Frage gestellt und erweitert wurde.

Die Präsentation von mehr als 150 Kunstwerken und einer Fülle von Dokumenten und Zeitzeugnissen führt den Besucher zurück zu aufregenden Ereignissen in der damaligen Aachener Kulturszene. Viele Akteure der internationalen Avantgarde wie unter anderen Joseph Beuys, Peter Brüning, Jörg Immendorff und Vagelis Tsarkiridis, Gerhard Richter, Bernd und Hilla Becher, Günther Uecker, Wolf Vostell, Lawrence Weiner oder Gilbert & George zeigten ihre Arbeiten bei Fluxus-Veranstaltungen oder Happenings und in neuartigen interdisziplinären Galerien in Aachen.

Institutionen wie die Galerie Aachen, der Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst und die Neue Galerie im Alten Kurhaus wurden zu weltweit beachteten Treibern jener Kunstrichtungen, die unser heutiges Kunstverständnis maßgeblich prägen – von Fluxus und Spielarten der performativen Kunst bis zur Konzeptkunst, neuen Formen der Fotografie, des Films, der Musik und der Literatur, bis hin zu Pop-Art und den zahlreichen Realismus-Tendenzen der 70er Jahre. Das Sammler-Ehepaar Peter und Irene Ludwig betrat die internationale Bühne und lenkte mit spektakulären Ankäufen immer wieder das Interesse auf provozierende, nahe am Skandal agierende Künstler.

Der Titel der Ausstellung rückt neben der Bedeutung wichtiger Aachener Protagonisten und Kunstorte so auch den gesellschaftskritischen Anspruch von Künstlern und Ausstellungsmachern jener Zeit in den Fokus. „Mit Nie wieder störungsfrei! geht es um jenen Augenblick, in dem die Kunst etwas lostritt, was sich nicht mehr zurücknehmen lässt“, erklärt Dr. Annette Lagler, die zusammen mit Myriam Kroll die Ausstellung im Ludwig Forum Aachen kuratiert.

Thematisch beginnt die Ausstellung – wie die Jahreszahl im Titel es ankündigt – mit dem legendären Festival der Neuen Kunst am 20. Juli 1964.

Auf Einladung des ASTA-Kulturreferenten Valdis Abolins der RWTH Aachen kamen unter anderen Joseph Beuys, Wolf Vostell und Bazon Brock in das Aachener Audimax. Das Festival endete im Chaos und bildete den Auftakt für eine Reihe von progressiven und politisch motivierten Kunstaktionen, Happenings und Fluxus-Veranstaltungen, die bald darauf in der neu gegründeten Galerie Aachen in der Wallstraße stattfanden. Aus dieser Zeit werden Werke und Dokumente von Beuys, Vostell und Immendorff gezeigt sowie von Hans-Peter Alvermann, Chris Reinecke und Franz Erhard Walther.

Im Juni 1968 gründeten der Journalist Klaus Honnef und der Galerist Will Kranenpohl den Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst in der Theaterstraße. Hier wurden zeitgenössische Tendenzen des Films, der Musik, der Literatur und des Theaters thematisiert und avantgardistische Ausstellungen präsentiert. Mit Werken von Peter Brüning, Gilbert & George, Gerhard Richter sowie Mel Ramos und Daniel Spoerri wird an diesen Avantgarde-Treffpunkt erinnert.

Sechs Wochen nach der Gründung des Gegenverkehrs traten im Sommer 1968 Peter und Irene Ludwig zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Ihre internationalen Ankäufe brachten in Atem beraubender Geschwindigkeit die weltweite Avantgarde nach Aachen. Bei ihrem Debut im Suermondt-Museum wurden Werke von Roy Lichtenstein, James Rosenquist und Andy Warhol gezeigt, die nun auch wieder in Aachen zu sehen sind.

1970 eröffnete das weltweit erste Ludwig Museum in der Aachener Innenstadt. Die Neue Galerie im Alten Kurhaus war dem Kunst-Panorama der 70er Jahre gewidmet und vor allem den unterschiedlichen Darstellungsformen des Realismus. Gründungsdirektor Wolfgang Becker setzte durch provokante Kunstaktionen und neue Medien einen intensiven Diskurs in Gang. In der Ausstellung werden neben Renato Guttuso, Allen Jones und Nancy Graves bedeutende Beiträge von Wolf Vostell, Robert Filliou und Ulrike Rosenbach vorgestellt.

Nie wieder störungsfrei! tastet die damaligen Ereignisse auf ihre kunsthistorische Bedeutung ab und richtet den Blick auf das Engagement einzelner Protagonisten, die maßgeblich zur Bildung der avantgardistischen Szene beitrugen. In ihrem Vorwort zum Ausstellungskatalog hält Regina Wyrwoll, die Generalsekretärin der Kunststiftung NRW, fest, Aachen beweise mit diesem Projekt, „dass und wie vergangene Entwicklungen in die Gegenwart fortwirken“.

Kuratiert von Dr. Annette Lagler

Nie wieder störungsfrei!, Ausstellungsansichten

Nie wieder störungsfrei, Ausstellungsansicht. Foto: Carl Brunn

 

Nie wieder störungsfrei

 

Nie wieder störungsfrei
Fotos: Carl Brunn / Ludwig Forum Aachen

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