René Peña, Solitario, 1994, s/w-Fotografie (teilweise koloriert), 39,9 x 49,5 cm. Foto: Carl Brunn.

Palmípeda

Die Sammlungspräsentation Palmípeda, die anlässlich der Ausstellung Belkis Ayón. Ya Estamos Aquí konzipiert wurde, erstreckt sich über die wiedereröffneten Grafikkabinette im Untergeschoss, das gesamte 2. Obergeschoss sowie Teile der großen Halle des Ludwig Forum Aachen. Werke von einflussreichen kubanischen Künstler*innen, die zur selben Zeit wie Ayón aktiv waren, geben Einblicke in die Kunstszene des Havannas der 80er und 90er Jahre, und treten punktuell in Dialog mit zeitgenössischen Werken von Künstler*innen aus anderen Teilen Lateinamerikas, die sich auch in den Aachener Beständen der Sammlung von Peter und Irene Ludwig befinden. Diese Jahrzehnte – eine besonders produktive Zeit für die Kunstschaffenden in Kuba – waren geprägt durch die Gründung der Havanna Biennale 1984, den Fall der Berliner Mauer 1989 sowie den darauffolgenden Zusammenbruch der Sowjetunion und zwei große Auswanderungswellen von Kubaner*innen in den Jahren 1980 und 1994, die durch die verheerende Wirtschaftslage ausgelöst wurden.

Die Grafikkabinette sind ausschließlich kubanischen Künstler*innen vorbehalten. Die in den Außengängen hängenden Fotografien der 1991 begonnenen Serie Zusammenleben des Fotojournalisten Ramón Pacheco Salazar (*1954) bilden den konzeptuellen Rahmen und bezeugen die verarmten Lebensumstände kubanischer Familien in der Provinz Matanzas und die alltäglichen, aber dennoch häufig marginalisierten Aspekte afro-kubanischer Kultur. Im Gegensatz dazu sind die theatralischen Porträts von René Peña (*1957) inszenierte Darstellungen, in denen Peña Vorstellungen von Selbstbild und Maskulinität hinterfragt. Der Künstler, Kritiker und Kurator Tonel nutzt in seinen Zeichnungen (1989-90) Humor und Wortspiele, um die Absurdität und Widersprüchlichkeit der offiziellen nationalen Narrative deutlich zu machen. Die Thematik afro-kubanischer Religionen, die schon in dieser Zeit für viele Künstler*innen eine wichtige Rolle spielte, wird in den Arbeiten von José Bedia (*1959) und Carlos Estévez (*1969) aufgegriffen. Die Künstlerin, Kuratorin und Dozentin Sandra Ramos (*1969), zudem auch Freundin Belkis Ayóns, widmet sich mit ihren farbigen Kalkografien (Kupferstichen) den Themen der erzwungenen Migration und den damit verbundenen Traumata, mit Titeln wie Das Boot, Das Floß oder Das Tiefseetauchgerät (alle 1994).

Im 2. Obergeschoss vertritt María Magdalena Campos-Pons (*1959) mit ihrem Werk Alternativen für den Mythos: Leda denkt (1989) eine dezidiert feministische Position, indem sie moralische und politische Restriktionen der weiblichen Sexualität überschreitet. In dieser Arbeit wird die Figur der Leda, die nach der griechischen Mythologie von Zeus in Form eines Schwans geschwängert wurde, zum selbstständig denkenden Subjekt ermächtigt. Ricardo Rodríguez Brey (*1955) verweist in seiner Installation Ein unschuldiges Objekt (1988) nicht nur auf den Synkretismus, sondern thematisiert ihn aktiv durch die Nutzung von Haushaltsmaterialien und -gegenständen, die bei den Ritualen der Santería eine Rolle spielen. Deutliche Parallelen lassen sich bei den Werken von René Francisco Rodríguez (*1960) und Eduardo Ponjuán (*1956), José Toirac (*1966) und Tonel erkennen. Rodríguez und Ponjuán analysieren und verbinden ideologische Einflüsse aus Ost und West auf Kuba, während Toiracs schwarz-weiße Malereien Che Guevara und Fidel Castro zeigen. Tonel kommentiert mit seinen humoristischen Arbeiten nicht nur die kubanische Politik und Wirtschaft, sondern auch die Auswirkungen der Massenemigration und der touristischen Exotisierung des Inselstaates. Ihre Werke stellen die unantastbaren Helden der Revolution als Normalsterbliche dar und werfen Fragen danach auf, warum und wann sie zu Heiligen gemacht wurden.

Der Ausstellungstitel Palmípeda ist der Name einer der Zeichnungen von Tonel und zugleich ein Wortspiel. In diesem Fall verbindet er die zwei Wörter „palmera“ (Palme) und „palmípedo“ (Schwimmfüßer). Diese Idee der Hybridität zieht sich durch die gesamte Ausstellung, ebenso wie die gezielten Bemühungen der ausgewählten Künstler*innen, durch Verstehen, Analysieren und Hinterfragen ihrer eigenen, verwirrenden Gegenwart Sinn zu verleihen und gleichzeitig ihre komplexe Geschichte zu würdigen.

Kuratiert von Ana Salazar Herrera

Booklet zur Ausstellug

Bildnachweis oben: René Peña, Solitario, 1994, s/w-Fotografie (teilweise koloriert), 39,9 x 49,5 cm. Foto: Carl Brunn.

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