Eröffnung: Donnerstag, 10. Juli 2025, 18 Uhr
Seit über vier Jahrzehnten untersucht die in New York geborene und lebende Künstlerin Rochelle Feinstein (*1947, Bronx, New York) die tradierten Regeln abstrakter Bildsprachen, indem sie eine Vielzahl an Medien – darunter Druckgrafik, Fotografie, Plastik, Collage, digitale Verfahren sowie alltägliche Materialien wie Pappe, Klebeband, Bilderwagen und Einkaufstüten – in komplexen, miteinander verflochtenen Werkgruppen zu Gemälden zusammenführt.
Feinstein ist keine gestische Malerin im klassischen Sinne. Vielmehr interessiert sie sich für die malerische Geste als Bedeutungsträger innerhalb des Vokabulars der Abstraktion. Ihre Kompositionen entstehen durch komplexe, additive und technologisch vermittelte Verfahren: UV-Drucke, Collagen oder digitalisierte Skizzen, die malerische Spontaneität simulieren. Für Feinstein wird Malerei zu einem kritischen Werkzeug, um Bild, Sprache und gesellschaftliche Zustände miteinander zu verbinden.
Mit The Today Show präsentiert das Ludwig Forum Aachen – in Kooperation mit der Secession in Wien und dem Kunsthaus Glarus – die erste institutionelle Einzelausstellung von Rochelle Feinstein im Rheinland. Rund 30 neue Arbeiten, die überwiegend zwischen 2021 und 2025 entstanden sind, liefern Einblicke in die vielseitige Auseinandersetzung der Künstlerin mit abstrakter Malerei und deren Verflechtung mit sozialen und politischen Realitäten.
Den Auftakt der Ausstellung bildet das großformatige Diptychon Tagged (2019), das historische Fotografien von Boxkämpfen zeigt, die zwischen Mitte der 1930er- und Mitte der 1940er-Jahre im faschistischen Italien in Rom und Mailand stattfanden. Feinstein reproduzierte die Fotografien als Siebdrucke, ordnete sie in filmstreifenartigen Rastern auf der Leinwand an und ergänzte sie um zusätzliche Raster in Regenbogenfarben. Die Bilder dokumentieren populäre Sportereignisse und verweisen zugleich subtil auf alltägliche soziale Aktivitäten innerhalb eines gesellschaftlichen Ausnahmezustands. Der Boxkampf wird zur Metapher für anhaltende Konflikte – eine Allegorie für Feinsteins eigene künstlerische Praxis, die einerseits an Traditionen der abstrakten Malerei anknüpft, diese jedoch zugleich hinterfragt und unterläuft.
Im Zentrum der Ausstellung steht eine Gruppe von Gemälden aus dem Jahr 2024, die ebenfalls in der Zusammenführung und Überlagerung verschiedener Verfahren entstanden sind. Während Feinstein daran arbeitete, stieß sie zufällig auf Collagen der New Yorker Malerin Lee Krasner (1908–1984), ihre Eleven Ways to Use the Words to See (1976/77). Die Serie ist ein Beispiel für Krasners Technik des „Recyclings“ – also der Wiederverwendung und Überarbeitung von eigenen Arbeiten, die sie, wie auch Rochelle Feinstein, mit den Namen von Zeitformen und Modi von Verben betitelte. In Present Perfect, Present Continuous, Simple Present oder Present Conditional (LK) greift Feinstein diesen Ansatz auf und kombiniert bemalte Leinwände mit collagierten Siebdruckfragmenten auf Musselin, basierend auf mit Tusche auf Kompositionspapier ausgeführten Pinselstrichen. Sowohl im Dialog mit dem Werk von Lee Krasner als auch aus ihrem tiefen Interesse für den gegenwärtigen Moment heraus – wie nicht zuletzt im Titel The Today Show sichtbar – schafft Feinstein abstrakte bildnerische Übersetzungen von Zeitformen der Gegenwart.
In der raumgreifenden Installation Curtains (2025) wiederum, einer ortsspezifischen Arbeit, die eigens anlässlich des Ausstellungsteils im Ludwig Forum produziert wurde, werden Pinselstriche in dem für Feinstein seit 2017 charakteristischen Regenbogenspektrum, als Muster wiederholt, auf Stoff übertragen. In Form eines Vorhangs führt die Arbeit durch die Ausstellung und markiert gleichzeitig deren Ende.
Feinstein verbindet mit The Today Show erstmals die ganze Bandbreite an sprachlichen Gesten und künstlerischen Verfahren, mit denen sie arbeitet, als Momentaufnahmen der Gegenwart – Techniken, die bislang spezifischen Projekten und der Präsentation von einzelnen Werkserien vorbehalten waren, etwa die Regenbogenpalette, die über Collage und Siebdruck vermittelte malerische Geste, das Raster oder die Verwendung von Fotografie.
Ihre Arbeiten, so die Künstlerin, hätten „ebenso viel mit Malerei zu tun wie mit den sozialen und politischen Umbrüchen, die wir aktuell erleben“. Feinstein aktiviert die Abstraktion als relationales Feld: Ihre Malereien entstehen durchweg im sich ständig wandelnden Hier und Jetzt von Politik, Popkultur und Kunstgeschichte. „Meine Arbeit ist weder ein Placebo für Traumata, Selbstfürsorge oder Heilung, noch schafft sie illusionistische Räume – das überlasse ich anderen. Meine Hoffnung ist es, einen Raum zur Reflexion über den aktuellen Zustand der Kultur zu eröffnen, vermittelt durch die Sprache der Malerei.“ Der Titel „The Today Show“ spielt ironisch auf die bekannte US-amerikanische Frühstücksfernsehsendung auf NBC an und kritisiert mit künstlerischen Mitteln die zunehmende Verschmelzung von Nachrichten und Unterhaltung zu Infotainment.
The Today Show bildet den Abschluss eines Ausstellungszyklus am Ludwig Forum Aachen, der der abstrakten Malerei gewidmet ist. Die Reihe begann 2023 mit Ulrike Müllers Monument to My Paper Body, deren Wandmalereien auch weiterhin zu sehen sind, und wurde mit Amy Sillmans Ausstellung Oh, Clock! bis zum 31. August 2025 fortgeführt.
Kuratiert von Eva Birkenstock
Kuratorische Assistenz: Miriam Schmidt
Credits: Rochelle Feinstein, ROYGBIV (Richard of York Gave Battle In Vain), 2018. Courtesy of the artist.