Die Restaurierung der Supermarket Lady von Duane Hanson

Die Supermarket Lady von Duane Hanson wurde gleich nach ihrer Fertigstellung zum ersten Mal in der O.K. Harris Gallery in New York gezeigt. Dort entdeckte sie das Ehepaar Ludwig 1970, erwarb die Skulptur und zeigte sie noch im Frühjahr desselben Jahres in Aachen in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig. Die einkaufende Hausfrau gehört zu den zentralen Motiven im Œuvre des amerikanischen Künstlers. Immer wieder variierte er diesen Typus und arbeitete vor allem das Spannungsverhältnis zwischen kompakter Kernfigur und einer Vielzahl von scheinbar belanglosen Dingen wie etwa Einkaufstüten, Waren oder Taschen heraus. Die Supermarket Lady der Aachener Sammlung Ludwig ist die erste Figur aus diesem Motivkreis.

Bis in die späten 1980er-Jahre führte die Plastik ein wechselhaftes Leben. Sie wurde in zahlreiche namhafte Häuser Europas entliehen. Diese Reisen gingen nicht spurlos an ihr vorüber. Eine Restaurierung der Skulptur war dringend geboten. 2004 konnte sie durch die großzügige Unterstützung der Peter und Irene Ludwig Stiftung in Angriff genommen werden.

Das Restauratorinnen-Team aus Julia Rief, Christina Sodermanns, Bernadette van Beek (NL), Anna Comiotto (CH), Sandra Ryf (CH) und Kerstin Stickelmann (B) einigte sich auf ein Vorgehen, bei dem die Originalmaterialien so weit wie möglich erhalten blieben. Zahlreiche chemische und physikalische Untersuchungen wurden vorgenommen, Spezialist*innen der Kunststoff-Restaurierung wurden genauso um Rat gebeten wie Fachkräfte verschiedener Universitäten und Industriebetriebe. Vertreter*innen von Museen, Restaurierungsinstituten, aus der Wissenschaft und der Wirtschaft kamen zusammen, um die Fragen, die die Aachener Lady an sie stellte, zu erörtern. Nach zweijähriger Arbeit konnte die Supermarket Lady in den Schauraum des Ludwig Forum zurückkehren.

Restaurierungsprotokoll

Das Kunstwerk

Die vollplastische Frauenfigur der Supermarket Lady ist aus glasfaserverstärktem Polyesterharz gefertigt. Ihre Oberfläche ist mit Ölfarben bemalt. Sie trägt Konfektionskleidung aus verschiedenen Textilien sowie diverse Accessoires aus Kunststoff. Einen weiteren umfangreichen Materialkomplex bildet der Einkaufswagen. In dem Warenkorb, den sie vor sich herschiebt, befindet sich eine breite Auswahl an Lebensmittelverpackungen, beispielsweise für Haferflocken, Süßigkeiten, Backmischungen, Kekse, Margarine, Streichkäse, Saft, Teebeutel und Hundefutter. Außerdem gibt es Eierkartons, Schachteln für Tiefkühlgerichte, Gemüsekonserven, Getränkedosen und Milchtüten. Hinzu kommen Non-Food-Artikel wie Alu- und Frischhaltefolie, Spülmittel, Toilettenpapier, Deodorant und Badeöl. Die meisten Verpackungen sind leer und sorgfältig verschlossen. Die in transparenter Folie verpackten Lebensmittel wie Brot, Nudeln und Kokosnuss-Schnitten sind dagegen echt.

Material

Allein im Einkaufswagen befinden sich 79 Gegenstände, zählt man die Figur vom Kopftuch bis zu den Schuhen hinzu, so kommt man auf mehr als 100 Einzelteile. Insgesamt gibt es sechs Kategorien: organisches Material, Textil, Kunststoff, Glas, Papier und Metall. Dabei lassen sich die einzelnen Materialgruppen noch weiter differenzieren: Unter „Textil“ werden verschiedene Natur- und Kunstfasern zusammengefasst. Dazu gehören Viskose (Haarnetz), Dralon (Rock), Nylon (Pulli) und Baumwolle (Hausschuhe). Unter „Kunststoff“ fallen Materialien von Polystyrol (Lockenwickler) bis PVC (Handtasche).

Schadensbericht

Die Materialvielfalt ist ein Grund für das breite Spektrum an Schadensbildern. Zudem wählte der Künstler einige Gegenstände wie Lackledertasche oder Plastikfolien für Nahrungsmittel, die relativ selten Eingang in die künstlerische Verarbeitung gefunden haben. In diesen Fällen gab es daher keine restauratorischen Erfahrungswerte, auf die zurückgegriffen werden konnte. 26 verschiedene Schadensarten wurden festgestellt. Unter anderem gab es Oberflächenschmutz, Ausbleichen der Aufdrucke, Risse, Kratzer, Fehlstellen, Knicke und große Mengen eines braunen Klebers, mit dem der Künstler vermutlich den Wageninhalt gegen Diebstahl sichern wollte. Dieser Kleber war stark nachgedunkelt, so dass er – vor allem im Kontrast zu den ausgeblichenen Farben der Verpackungen – störend ins Auge fiel.

Den ersten gravierenden Schaden hatte die Supermarket Lady 1975 erlitten, als ihr rechtes Bein abbrach. Daraufhin wurde der Künstler eingeladen, nach Aachen zu kommen und den Schaden zu beheben. Allerdings begnügte er sich nicht mit dem bloßen Verkleben und Ergänzen der Bruchstelle, er bemalte auch die „Hautfläche“ der Figur neu und fügte weitere blaue Flecken und Schatten hinzu, so dass sie insgesamt älter wirkte. Hanson begründete die Neugestaltung damit, dass auch er gealtert sei.

Durch die besondere Belastung der Hand beim Aufliegen auf dem Griff des Einkaufswagens brach schließlich 1987 der Daumen der linken Hand ab. Im selben Jahr wurde die Figur ein weiteres Mal schwer beschädigt, als sie während eines Ausstellungsaufbaus hintenüber stürzte und sich dabei eine tiefe Bruchstelle am Halsansatz zuzog. Die Entstehung der Risse an der linken Schulter unter der Bluse, an den Ellenbogen, an ihrem linken Knöchel, am Kopf unterhalb des Haaransatzes und im Bereich des rechten Ohrs ließ sich im Nachhinein nicht mehr datieren. Auf Grund dieser Schadensfälle wurde beschlossen, die Plastik nicht mehr reisen zu lassen.

Dennoch kam es im Laufe der Jahre zu weiteren Veränderungen: Die Farbschicht an Ellenbogen und Händen war stellenweise abgestoßen. Die brüchig gewordenen Lockenwickler hatten sich teilweise aus den Haaren gelöst, hingen herab und führten zu einem insgesamt eher ungepflegten Erscheinungsbild. Dieses Problem konnte zunächst behoben werden, indem die besser erhaltenen Lockenwickler, die durch das Kopftuch verdeckt waren, gegen die defekten Stücke ausgetauscht wurden.

Was den Einkaufswagen betrifft, so gab es auch hier durch die Jahrzehnte kleine Veränderungen und deutliche Alterungsspuren. Das Arrangement im oberen Bereich hat sich mehrmals leicht geändert. Einige Verpackungen gingen verloren, andere wurden umgeräumt. Beispielsweise ist eine helle Schachtel, die in New York offenbar noch obenauf lag, nicht mit nach Aachen gekommen. Später sind eine Zeitschrift, eine Orangensaftdose und ein Marmeladenglas abhanden gekommen. Die Schachtel mit den „Vienna Dream Bars“ hat den Platz von „Mallomars“ zu „Loft Candy“ und wieder zurück gewechselt. Auch die Sahnesprühflasche lag ursprünglich seitlich und erst später hinten im Wagen.

Schon in den 1980er-Jahren wiesen Zustandsberichte der Restaurierung darauf hin, dass verschiedene Verpackungen verknickt und verblichen waren. Dieser Zustand hat sich bis 2003 weiter verschlechtert. Zwar wurden 1991 und 1995 Staub- und Oberflächenreinigungen vorgenommen, doch für größere Restaurierungsprojekte, die den Zustand der Figur grundlegend verbessert hätten, fehlten die finanziellen Ressourcen. Da jedoch dringender Handlungsbedarf bestand, veranlasste Restauratorin Julia Rief 1995 eine erste umfassende Materialuntersuchung der Supermarket Lady. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit begann Truus Joosten, seinerzeit Restaurierungsstudentin in Maastricht, mit einer ersten Bestandsaufnahme der Schäden der Supermarket Lady. Ihre vor Ort gesammelten Materialproben von Figur und Kleidung ließ sie durch Thea van Oosten vom ICN, Instituut Collectie Nederland in Amsterdam (damals Centraal Laboratorium voor Onderzoek van Voorwerpen van Kunst en Wetenschap) analysieren. Zugleich nahm sie auch mit dem Künstler selbst Kontakt auf und hielt anhand eines Fragebogens seine Restaurierungsideen fest. Noch bevor die Vorgehensweise endgültig geklärt werden konnte, verstarb der Künstler 1996. Die Korrespondenz mit ihm war bei der weiteren Planung jedoch von unschätzbarem Wert.

Da die Untersuchungsergebnisse gezeigt hatten, dass die Figur, aber auch die Verpackungen vor allem unter der Sonneneinstrahlung litten, wurde die Skulptur in einer ersten Hilfsmaßnahme ab 1995 in einer UV-Schutzvitrine gezeigt. Dennoch konnte das Ausbleichen der Verpackungen nicht aufgehalten werden, und der Zustand verschlechterte sich dramatisch. Im Jahr 2003 konnte dann endlich mit der Restaurierung begonnen werden, da Prof. Dr. Irene Ludwig einen großzügigen Betrag für die Konservierung und Restaurierung zur Verfügung stellte.

Rettungsmaßnahmen

Nach der Bestandsaufnahme wurde eine Reihe von Materialanalysen und Tests durchgeführt. Teilergebnisse lagen durch die Arbeit von Truus Joosten von 1995 vor. Neue Analysen als Basis für weitere Maßnahmen konnten erst 2003, nachdem die Grundfinanzierung gesichert war, in Auftrag gegeben werden.

Von Beginn an wurde mit Kolleg*innen anderer Museen und Spezialist*innen verschiedener Restaurierungsinstitute zusammengearbeitet, um Erfahrungen und Forschungsergebnisse auszutauschen oder gemeinsam mit verschiedenen Verfahren zu experimentieren. Referent*innen stellten die Ergebnisse in einem Symposium im Ludwig Forum öffentlich vor, um anschließend über ein möglichst sinnvolles Restaurierungskonzept zu diskutieren:

Thea van Oosten, ICN/Instituut Collectie Nederland, Amsterdam, referierte über ihre Materialanalysen an den Verpackungen des Einkaufswagens. Bernadette van Beek und Marieke Kraan (beide KOP Papierrestauratie, Arnheim) berichteten über ihre Vorzustandsuntersuchungen bezüglich des Inhalts des Einkaufswagens. Petra Mandt und Kim Ohm, Diplomrestauratorinnen am Museum Ludwig in Köln, fassten die Erfahrungen, die in Köln mit dem Künstler und der Restaurierung der dortigen Hanson-Plastik gemacht wurden, zusammen. Dr. Helen van Westgeest (Dozentin an der Universität in Leiden und Amsterdam), Letitia van Gemert (Radboud Universität, Nijmegen) und die Kustodin des Ludwig Forum, Dr. Annette Lagler, trugen kunsthistorische Argumente vor. Bei der anschließenden Diskussion spielte auch die Meinung des Künstlers eine wesentliche Rolle. 1995 hatte Hanson den für Konservator*innen kühnen Vorschlag gemacht, den Inhalt des Einkaufswagens komplett auszutauschen und ihn mit brandneuen Produkten zu füllen. Ähnlich wie bei seiner Übermalung der Supermarket Lady von 1975 oder auch der Erneuerung bei der Frau mit Handtasche aus der Kölner Sammlung in den Jahren 1977 und 1990 waren seine Eingriffe und Ideen künstlerisch intendiert, ohne dabei besonderen Wert auf den historischen Gehalt zu legen. Hansons Idee wurde jedoch aus rechtlichen und aus ästhetischen Gründen verworfen: Zum einen wären die Originalität und die damit verbundene Werthaltigkeit nicht mehr gewährleistet gewesen; zum anderen hatte sich das Design der Verpackungen inzwischen erheblich verändert und die stimmige Gesamterscheinung wäre zerstört worden. Auch die Idee, Waren durch Faksimiles oder Kopien zu ersetzen, die den Originalzustand wiedergegeben hätten, wurde aus diesen Gründen nicht weiter verfolgt. Selbstredend war den Restaurator*innen daran gelegen, möglichst viel von der Originalsubstanz zu erhalten, auch wenn es um Verpackungen, also flüchtige Wegwerfprodukte ging. Es wurde daher beschlossen, nur die Teile im Einkaufswagen auszutauschen,deren Zerstörungsgrad eine Restaurierung unmöglich machten. Dazu gehörten das vollkommen zerbrochene Brot, die Nudeltüte und die Folienverpackungen von Brot und Kokosnuss-Schnitten. In diesen Fällen wurde ein rekonstruierter Prototyp angefertigt in der Hoffnung, dass neue Techniken der Folienrestaurierung später einmal die Bearbeitung der zerrissenenTüten möglich machen würden. Die übrigen Originalverpackungen sollten geglättet, stabilisiert, die ausgeblichenen Partien durch Retusche ergänzt und dadurch optisch aufgewertet werden. Mit der Inventarisierung der Schäden an den Papp- und Papierverpackungen wurde Marieke Kraan (KOP Papierrestauratie, Arnheim) betraut, die Restaurierung der Papierobjekte übernahm Bernadette van Beek (KOP Papierrestauratie, Arnheim).

Im Fall der Figur wurde entschieden, die Übermalungen und Überkittungen früherer Restaurierungen abzunehmen und die Fehlstellen durch eine Minimalretusche zu ergänzen. Man einigte sich, die Figur sowie ihre Kleidung und Accessoires sorgfältig zu reinigen. Als generelle Prämisse wurde der Erhalt des optischen Gleichgewichts zwischen Figur und Wagen definiert. Anschließend wurden andere Spezialist*innen hinzugezogen, die sich mit dem Kodex identifizieren konnten: Kerstin Stickelmann (Gemälderestauratorin, Absolventin der École Nationale Supérieure des Arts Visuels de la Cambre, Brüssel) war durch ihre Erfahrungen mit dem Malschichtaufbau an der Supermarket Lady prädestiniert für die Restaurierung der Oberfläche der Plastik. Anna Comiotto (Absolventin der Hochschule der Künste Bern) übernahm auf Grund ihrer Kenntnisse von Malschichten auf Kunststoff die Restaurierung der Handtasche. Sandra Ryf (Absolventin der Hochschule der Künste Bern) wurde wegen ihres Wissens über drucktechnische Verfahren auf Plastikfolien mit der Rekonstruktion der Brottüte betraut. Von den nicht restaurierbaren Plastikverpackungen fertigte Carsten Grohnloh (Mediengestalter, Fotocom Aachen) Druckvorlagen.

Auch wenn eine Rückführung zum ursprünglichen Zustand der Figur wegen des teilweise starken Zerfalls der Materialien nicht möglich war, sollte sich die Restaurierung der ursprünglichen künstlerischen Intention annähern, so gut es ging. Gerade weil es sich bei der Restaurierung der Supermarket Lady um ein diffiziles Projekt handelte, das viel Fingerspitzengefühl erforderte und eine ständige Gratwanderung zwischen Erhalten und Erneuern darstellte, wurde die Öffentlichkeit programmatisch über Pressemeldungen und Schaurestaurierungen auf dem Laufenden gehalten.

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