Mit Jean-Michel Basquiat, Betty Beaumont, Boyle Family, Lucy Davis (Migrant Ecologies Projects), Danielle Dean, Rackstraw Downes, Paula Erstmann, Mónica Giron, Nancy Graves, Michael Heizer, Irmel Kamp, Barbara & Michael Leisgen, Richard Long, Algirdas Milleris, Wolfgang Nestler, Arjuna Neuman & Denise Ferreira da Silva, Jüri Okas, Ramón Pacheco Salazar, Silke Schatz und Transformella cinis lützerathi
Die Ausstellung Terrestrische Perspektiven vereint Arbeiten, die vielseitige Perspektiven auf das komplexe Zusammenwirken von Menschen und ihrer Umwelt eröffnen. Zu sehen ist eine konzentrierte Auswahl von rund dreißig Fotografien, Grafiken, Malereien, Skulpturen und Videoarbeiten, sowie einige performative Formate. Ausgehend von den Sammlungen und der Ausstellungsgeschichte des Hauses, werden künstlerische Arbeitsweisen von der Land Art der späten 1960er Jahre bis in die jüngste Gegenwart vorgestellt, die ein Interesse an der Auseinandersetzung mit der Erdoberfläche teilen: von gestalterischen und konzeptuellen Bearbeitungen, bis hin zu kritischen Perspektiven auf lokale und globale Strukturen von Landnutzung, Rohstoffaneignung und Ausbeutung und den daraus resultierenden Konsequenzen von sich dramatisch verändernden Naturräumen.
Eingangs gibt eine Vitrine Einblicke in Projekte und Aktivitäten des Ludwig Forum, die sich bereits in der Vergangenheit Fragen von Ökologie und Nachhaltigkeit widmeten. So gastierte schon 1994, drei Jahre nach der Eröffnung des Museums in einer ehemaligen Regenschirmfabrik, die internationale Gruppenausstellung Arte Amazonas. Klima Global anlässlich der Klimakonferenz in Rio de Janeiro (1992). Die Landschaftsarchitekt*innen Marc Pouzol, Véronique Faucheur und Marc Vatinel (atelier le balto) legten 2010 die Parkanlage des Museums seinen Nutzungsanforderungen und dem zyklischen Wachstum der Natur entsprechend neu an. An die Historie des Museums anschließend werden in diesem Bereich der Ausstellung anhand einer Gruppe von frühen Arbeiten der Land Art darüber hinaus künstlerische Arbeitsweisen vorgestellt, für die verschiedene Naturräume als Material bespielt und bearbeitet werden. Weitere Schwerpunkte der Ausstellung bilden die wirtschaftlich motivierte, gewaltsame Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die anhaltenden Folgen, etwa im Amazonasgebiet oder im nahe gelegenen Rheinischen Braunkohlerevier: die Videoarbeit Sooth Breath / Corpus Infinitum (2020) des Filmemachers Arjuna Neuman und der Theoretikerin Denise Ferreira da Silva nimmt beispielsweise Bezug auf genau jene, seit Jahrtausenden andauernde Ausbeutung der Erde, um ein Umdenken der Beziehung von Mensch und Umwelt einzufordern, während sich die Künstlerin Mónica Giron in ihrer Installation Ajuar para un conquistador (1993) den in der Konsequenz des Kolonialimus bedrohten sowie teilweise bereits ausgestorbenen Vogelarten in Patagonien widmet. Dem gegenüber steht wiederum die Videoarbeit Like Shadows Through Leaves (2021) des von Lucy Davis gegründeten Migrant Ecologies Projects – eine Hommage an das Zusammenleben von Menschen und Vögeln entlang der ehemaligen Bahntrasse am Wohnkomplex Tanglin Halt in Singapur, die aufgrund der geplanten Neugestaltung des Areals im Laufe dieses Jahres abgerissen wird. Im Dialog mit den ergänzenden Perspektiven der eingeladenen Künstler*innen Betty Beaumont, Lucy Davis (Migrant Ecologies Projects), Danielle Dean, Paula Erstmann, Wolfgang Nestler, Arjuna Neumann & Denise Ferreira da Silva, Silke Schatz und Transformella cinis lützerathi werden die ausgewählten Sammlungsbestände des Ludwig Forum Aachen einer Art terrestrischen Betrachtungsweise unterzogen, um im Zusammenspiel alternative Entwürfe des Zusammenlebens zu entwickeln.
Der Titel der Ausstellung, Terrestrische Perspektiven, ist dem „Terrestrischen Manifest“ (2017) des französischen Philosophen Bruno Latour (1947–2022) entlehnt, der den geografischen Begriff für „irdisch/erdgebunden“ um politische, soziale und ökologische Dimensionen erweiterte. Vor diesem Hintergrund zeigt die Ausstellung Entwicklungen des menschlichen Verhältnisses zur Umwelt anhand künstlerischer Arbeitsweisen und fragt, wie terrestrischen Daseinsformen eine neue Relevanz für das Zusammenleben von Menschen, Tieren und der Natur zugeschrieben werden kann. Entsprechend Latour sollen dabei auch Existenzweisen vorgestellt werden, die lokal wie global die Anerkennung und Erhaltung aller Lebewesen und Organismen auf der Erde als politisch Handelnde in den Mittelpunkt stellen.
Über die inhaltliche Auseinandersetzung mit den künstlerischen Arbeiten und der eigenen Ausstellungsgeschichte hinaus, werden im Verlauf der nächsten Monate Workshops und Veranstaltungen stattfinden, um gemeinsam mit Künstler*innen, Besucher*innen und dem Museumsteam alternative Handlungsräume, auch für eine nachhaltige Museums- und Ausstellungsarbeit zu entwickeln.
Kuratiert von Lisa Oord als Abschlussprojekt ihres kuratorischen Volontariats am Ludwig Forum Aachen.
Terrestrische Perspektiven ist Teil einer Reihe von Ausstellungen, mit denen das Ludwig Forum Aachen es sich in diesem Jahr zum Ziel gesetzt hat, die hauseigenen Sammlungen verstärkt in den Fokus zu rücken. Im Verlauf der nächsten Monate wird sich das Museum nach und nach mit Sammlungspräsentationen füllen, um die eigenen Bestände unter Berücksichtigung gegenwärtiger Wandlungsprozesse neu zu befragen, zu erweitern und zu kontextualisieren. So gibt es bereits das Langzeitforschungsprojekt Training the Archive, für das in Zusammenarbeit mit der RWTH eine KI für die Sammlungsarbeit entwickelt wurde, die von Besucher*innen und den Kurator*innen des Hauses benutzt werden kann. Ende des vergangenen Jahres eröffnete die Sammlungspräsentation der Künstlerin Ulrike Müller, die anlässlich ihrer Einzelausstellung Monument to My Paper Body (seit Dezember 2023) in Dialog mit Direktorin Eva Birkenstock entstand. Für das Ausstellungs- und Forschungsprojekt Fragmente einer Wirklichkeit, die einmal war. Begegnungen mit der Ukraine in der Sammlung Ludwig (seit März 2024) untersucht Kuratorin Galina Dekova im Rahmen des durch das Land NRW geförderten Forschungsvolontariats Arbeiten aus der ehemaligen Sowjetunion sowie aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die in der Sammlung bisher allgemein als „Kunst aus der UdSSR“ inventarisiert worden waren. Schließlich eröffnen am Sonntag, den 30. Juni 2024, zwei weitere Sammlungspräsentationen: eine umfassende thematische Präsentation im Klimaflügel des Ludwig Forum Aachen, sowie ein Restaurierungslabor mit Einblicken zur Entstehungsgeschichte und dem Restaurierungsprozess der Arbeit Earth, Moon, Sun (1990) von Nam June Paik. Die Ausstellungen, die jeweils verschiedene Umgangsformen mit den Arbeiten der hauseigenen Sammlungen erproben, bilden den Ausgangspunkt für die Entstehung eines neuen, umfassenden Bestandskatalogs des Ludwig Forum Aachen, der voraussichtlich Ende 2025 erscheinen wird.
Der Auftakt von Terrestrische Perspektiven wird präsentiert im Rahmen von ELEMENTS 2024, einem Programm, für das sich elf eurogionale Kunst- und Kulturinstitutionen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam mit dem Publikum die Vielfalt zeitgenössischer Kunst und die Bandbreite renommierter Institutionen in der Euregio Maas-Rhein zu feiern. Das ELEMENTS Festival 2024 findet von Donnerstag, 23. Mai bis Sonntag, 23. Juni 2024 statt. Teilnehmende Institutionen sind das Bonnefanten Museum, Maastricht; Bureau Europa, Maastricht; Het Nieuwe Domein, Sittard; Jan van Eyck Akademie, Maastricht; Jester, Genk; Kasteel Wijlre Estate, Wijlre; Ludwig Forum Aachen; Marres, Maastricht; SCHUNCK, Heerlen; Z33 Haus für aktuelle Kunst, Design & Architektur, Hasselt sowie Espace 251 Nord, Lüttich.